Neue Versorgungsstrukturen für die Psychotherapie: Stand der Dinge
Im Rahmen der Überarbeitung der Psychotherapie-Richtlinie werden derzeit verschiedene potentielle Neuerungen im Bereich der ambulanten Psychotherapie diskutiert. Ursprünglich nur als Revision der Psychotherapie-Richtlinie gedacht, weitet sich die Diskussion auf das gesamte Feld psychotherapeutischer Tätigkeit aus, und es werden weitreichende Reformoptionen überlegt.
Es ging mit der Vereinbarung der sog. Selbstverwaltungspartner (GKV-Spitzen-verband und Kassenärztliche Bundesvereinigung) im Einheitlichen Bewertungsausschuss vom Oktober 2013 richtig los: Ambulante Psychotherapie werde zukünftig extrabudgetär vergütet und es sollte neue Vertragspsychotherapeutensitze geben, im Gegenzug sollte die Psychotherapie-Richtlinie überarbeitet werden. Von nun an waren insbesondere auch die Gesetzlichen Krankenkassen nachhaltig interessiert, die Psychotherapie-Richtlinie zu überarbeiten. Von Seiten der Kassen, aber auch von anderen Seiten gab es schon seit vielen Jahren (Jahrzehnten!) Kritik an der Psychotherapie-Richtlinie, deren Grundstruktur seit ihrer Einführung Mitte der 60er Jahre unverändert geblieben ist. Nunmehr kam für die Kassen als wichtiges Argument hinzu, dass die (extrabudgetären) Kosten der Richtlinienpsychotherapie direkt zu Lasten der einzelnen Krankenkassen gehen. Der – eigentlich zuständige - Gemeinsame Bundesausschuss hat später auch die Revision der Psychotherapie-Richtlinie ins Arbeitsprogramm genommen, allerdings war da längst klar, dass der vom Bewertungsausschuss vorgeschlagene Zeitplan „Mitte 2013“ keinesfalls zu halten war. Gut Ding braucht Weile. Aber an verschiedenen Stellen wurden nun Konzepte und Ideen erarbeitet.
Die DGVT veranstaltete im Frühjahr 2013 ein Dialogforum zur Weiterentwicklung der Psychotherapie-Richtlinie (siehe Rosa Beilage 2/2013, S. 17-20), der GKV-Spitzenverband legte ein Forderungspapier vor (siehe Rosa Beilage 4/2012, S. 49-58) und auch von anderen Verbänden und Krankenkassen kamen wiederholt Ideen zur Neugestaltung. Nach der Bundestagswahl im September 2013 haben sogar die neuen Regierungsparteien CDU/CSU und SPD in ihrer Koalitionsvereinbarung die Forderung nach einer Reform der psychotherapeutischen Versorgung aufgenommen. Das verdeutlichte eine Bereitschaft der Politik, nicht nur den engen Rahmen der Richtlinienpsychotherapie in den Blick zu nehmen, sondern auch sinnvolle weitergehende Reformen anzugehen. Die deutliche Mehrheit der jetzigen Bundesregierung in Bundesrat und Bundestag sollte es auch leicht machen, Gesetzesänderungen, die von der Bundesregierung als richtig erkannt wurden, umzusetzen, speziell bei (bundesrats)zustimmungspflichtigen Gesetzen. Eine große Chance für echte Reformen!
Vor diesem Hintergrund erhielten die Diskussionen über eine Reform der psychotherapeutischen Versorgung einen weiteren Schub und die vorgelegten Vorschläge beschränkten sich nicht mehr auf Veränderungen innerhalb der Psychotherapie-Richtlinie.
Das erste Modell wurde vom GKV-Spitzenverband beinahe zeitgleich zum Koalitionsvertrag vorgelegt, hier ging es insbesondere um Ansatzpunkte zur Rationierung von ambulanter Psychotherapie (vgl. Rosa Beilage 1/2014, S. 14-16). Ob dies die Intention der Bundesregierung war, darf zwar bezweifelt werden, aber tatsächlich sind die Krankenkassen ja zur Sparsamkeit verpflichtet. Betrüblich ist nur, dass sie lieber an der Psychotherapie sparen wollen, als mit Hilfe von Psychotherapie (z.B. in den Bereichen Krankengeld, stationäre Einweisungen u.a.).
Weitere Konzepte, wie sie etwa von der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung (DPtV) und der Vereinigung der Analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (VAKJP; vgl. Rosa Beilage 1/2014, S. 18/19) wurden, waren dann stärker am Bedarf bzw. den Potentialen der Psychotherapie und den gegebenen Strukturen der Versorgung orientiert, bezogen sich aber zunächst insbesondere auf die Erweiterung der Leistungs- bzw. Abrechnungsmöglichkeiten für Vertragspsychotherapeuten, auch außerhalb der Psychotherapie-Richtlinie. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hat diese Anregungen aufgegriffen und in den letzten Monaten ein übergreifendes Konzept erstellt, welches seit Mitte März mit allen Landeskammern und Verbänden beraten und zuletzt beim Deutschen Psychotherapeutentag am 17. Mai 2014 vorgestellt und diskutiert wurde. Das BPtK-Reformmodell versucht, alle für die sachgerechte Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen anstehenden Innovationen im ambulanten und stationären Setting zusammenzustellen und die dafür notwendigen Änderungen auf gesetzlicher und untergesetzlicher Ebene abzuleiten. Es geht dabei auch auf notwendige Veränderungen ein, die eine Vernetzung der verschiedenen Sektoren im Interesse der besseren psychotherapeutischen Versorgung bewirken können.
Die verschiedenen, in dem Modell aufgeführten Entwicklungsfelder werden nachfolgend kursorisch erläutert:
- Für den Bereich der ambulanten Psychotherapie soll die „Psychotherapeutische Sprechstunde“ eingeführt werden: Hier geht es um eine orientierende Erstdiagnostik, mögliche Überweisungen zu anderen Versorgungseinrichtungen (z.B. Psychosoziale Beratungsstellen) oder die Indikationsstellung zur Richtlinienpsychotherapie, die Verordnung von Heilmitteln, von Reha-Leistungen oder die Ausstellung von AU-Bescheinigungen, das Monitoring und damit insgesamt ein Casemanagement.
- Weitere neue, ergänzende Psychotherapeutische Leistungen sollen die konsiliarische Abklärung, Krisenintervention, aufsuchende Behandlungen und psychoedukative Gruppen sein.
- Das Konzept der Richtlinienpsychotherapie soll – quasi als Psychotherapie im engeren Sinne –weitergeführt, aber modernisiert werden: Gruppenpsychotherapie (auch erkrankungs- und themenspezifisch) und auch die Kombination von Einzel- und Gruppentherapie soll erleichtert werden, Einzelpsychotherapie soll als Akutversorgung möglich sein, und es soll die niederfrequente Weiterbehandlung zur Stabilisierung (Erhaltungstherapie/Rezidivprophylaxe) eingeführt werden.
- Verschiedene Versorgungsformen, die unter der Überschrift „multiprofessionelle ambulante Versorgungsnetze“ zusammengefasst sind, sollen inhaltlich ausdrücklich auf die Vernetzung mit Psychotherapie bezogen werden und die PsychotherapeutInnen sollen im System die Möglichkeit zur vernetzten Mitwirkung erhalten (z.B. Soziotherapie, Physio-, Ergo- und Kreativtherapien, psychiatrische Krankenpflege).
- Die sachgerechte Einbeziehung psychotherapeutischer Angebote in teilstationäre/stationäre Behandlungen muss gewährleistet werden, damit den PatientInnen mit psychischen Störungen oder psychischer Komorbidität eine multiprofessionelle und multimodale intensivierte Versorgung im geschützten Rahmen nach dem Stand der Leitlinien ermöglicht wird.
- Ergänzende Besonderheiten für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie liegen in der Forderung nach einer Sozialpsychotherapievereinbarung, nach der – analog zur Sozialpsychiatrie-Verein-barung – unter psychotherapeutischer Leitung verschiedene sozialpädiatrische Leistungen koordiniert werden können. Auch die stärkere Arbeit mit Eltern bzw. Bezugspersonen soll hier ermöglicht werden, ebenso wie die engere Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe.
Was muss geändert werden, damit diese Innovationen eingeführt werden können? Einerseits müssen gesetzlichen Änderungen im SGB V erfolgen, etwa wenn es um die Aufhebung von Befugniseinschränkungen (bei der Verordnung von Heilmitteln oder Arbeitsunfähigkeit und die verantwortliche Einbindung in stationäre/teilstationäre Einrichtungen, einschließlich Leitungsbefugnis) geht. Die Überarbeitung der Psychotherapie-Richtlinie müsste verschiedene erwähnte Neuerungen aufnehmen. Und der Gesetzgeber müsste schließlich den Gemeinsamen Bundesausschuss beauftragen, Strukturstandards für (teil-)stationäre Einrichtungen verbindlich zu erarbeiten (die aktuell in der Folge des Psych-EntgG laufende Entwicklung von Standards führt, nach Interpretation des Gesundheitsministeriums, nur zu Empfehlungen).
Ein rundes Konzept hat die BPtK vorgelegt – es wäre schön, wenn es so kommt! Viele Details sind zwar noch unklar, aber die Richtung stimmt sicher. Leider handelt es sich bei dem Konzept allerdings „nur“ um eine Ausarbeitung, die die BPtK erstellt hat. Sie wird sie jetzt als Vorschlag in die weitere Diskussion mit der Politik und dem G-BA geben. Und da kann man sich vorstellen, dass andere Beteiligte (etwa die Krankenkassen oder die psychiatrischen Fachärzte) nicht alle in gleicher Lautstärke Hurra schreien werden. Aber es gibt gute Argumente für die fallbezogene Differenzierung der Behandlungsangebote durch PsychotherapeutInnen. Von Seiten der Krankenkassen und der anderen Fachärzte wird immer wieder kritisiert, dass PsychotherapeutInnen sich gerne auf die Richtlinienpsychotherapie beschränken. Auch viele PsychotherapeutInnen würden gerne mehr tun (etwa Sprechstunden anbieten), allerdings muss es im Leistungskatalog auch möglich sein und es muss (logisch irgendwie) auch adäquat bezahlt werden. Insofern dürfte es schwer sein, rational bzw. guten Gewissens gegen das BPtK-Konzept zu argumentieren. Wir dürfen gespannt sein, wie die Diskussion weitergeht.
Auf zwei Punkte sei abschließend noch hingewiesen:
- Erstens kann man festhalten, dass viele der beschriebenen und angedeuteten Neuerungen tatsächlich sehr innovativ sind, und bisher erst wenig Referenzen bzw. Erfahrungswerte dazu vorliegen – etwa zur Frage, in welcher Form und in welchem Umfang Sprechstunden durch PsychotherapeutInnen genutzt und wie sie mit der Richtlinienpsychotherapie kombiniert werden können. Ein solches Leistungspaket komplett neu einzuführen und die Details am grünen Tisch verbindlich und auf Dauer festzulegen, birgt sicher einige Risiken. Hier könnte es sich anbieten, zunächst zu diesen und anderen Innovationen verschiedene sorgfältig evaluierte Modellerprobungen durchzuführen und nach deren Auswertung dann Regeln für die bundesweite Umsetzung festzulegen.
- Zweitens ist offenbar nicht daran gedacht, die Anzahl der Vertragspsychotherapeutensitze auszuweiten. Da das Konzept aber neue Leistungen vorsieht, die zusätzlichen zeitlichen Bedarf bei den Leistungserbringern erfordern werden (z.B. Psychotherapeutische Sprechstunden), ist fraglich, ob auf diese Weise tatsächlich die psychotherapeutischen Versorgungsdefizite behoben werden können. Hier knüpfen unsere Forderungen als Verband an, das Konzept mit einer veränderten Bedarfsplanung zu verknüpfen, die sich an der Versorgungsrealität (Stichwort Wartezeiten) orientiert.
Heiner Vogel
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