Bundessozialgericht: Krankenkasse muss bei versäumter Frist Leistung genehmigen


Das Patientenrechtegesetz regelt seit 2013, dass Anträge von GKV-Versicherten als genehmigt gelten, wenn die Krankenkassen nicht zeitgerecht entscheiden. Seit der Änderung der Gesetzeslage streitet die Rechtspraxis darüber, ob hieraus Ansprüche auf die beantragte Leistung oder nur auf Kostenerstattung erwachsen und inwieweit Krankenkassen solche Ansprüche wieder beseitigen können. Hierüber hat nun der 1. Senat des Bundessozialgerichts am 7. November entschieden (Az. B 1 KR 24/17 R und B 1 KR 15/17 R).

Sachverhalt:

Die bei der beklagten Krankenkasse versicherten Klägerinnen beantragten, sie wegen massiver Gewichtsabnahme mit einer Abdominalplastik (Straffung der Bauchhaut) zu versorgen. Die Kasse lehnte dies jeweils nach Untersuchung durch den Sozialmedizinischen Dienst mehr als fünf Wochen nach Antragseingang ab. Während der zwei Berufungsverfahren hat die Beklagte jeweils vorsorglich fingierte Genehmigungen der Anträge mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen. Das Landessozialgericht für das Saarland hat die Rücknahmeentscheidung aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die eine Klägerin mit einer Abdominalplastik zu versorgen: Die Rücknahme sei rechtswidrig. Die Klägerin habe Anspruch auf Versorgung mit der Hautstraffung, weil die Beklagte nicht fristgerecht entschieden habe (Aktenzeichen B 1 KR 15/17 R). Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat dagegen die Klage der anderen Klägerin abgewiesen: Die Rücknahme sei rechtmäßig. Entscheidend sei nicht die fingierte Genehmigung, sondern das Fehlen eines Anspruchs auf die beantragte Leistung. ?

Hinweis zur Rechtslage
§ 13 SGB V

(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14, 15 des Neunten Buches zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen.

§ 45 SGB X

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

§ 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG)

(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.

Die Entscheidung des BSG vom 7.11.2017 (vgl. Terminbericht des BSG, www.bsg.bund.de):

Entscheidet eine Krankenkasse nicht innerhalb der gesetzlichen Frist über den Antrag eines Versicherten, gilt die geforderte Leistung als genehmigt.

Das BSG hat auf die Revision der Klägerin das LSG-Urteil aufgehoben und die Entscheidung des Sozialgerichts wiederhergestellt. Der Anspruch der Klägerin gegen die beklagte Kasse auf Versorgung mit einer Abdominalplastik besteht kraft Genehmigungsfiktion (vgl. § 13 Abs. 3a SGB V). Deren Voraussetzungen sind erfüllt.

Die Kasse (Beklagte) entschied über den hinreichend bestimmten fiktionsfähigen Antrag nicht innerhalb der gesetzlichen Frist. Sie führte auch keine Fristverlängerung herbei.

Die Klägerin durfte daher die Abdominalplastik für erforderlich halten. Der Leistungsanspruch ist auch nicht später erloschen. Die Rücknahme der fingierten Genehmigung ist Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Sie änderte die angefochtene Leistungsablehnung ab. Zu Unrecht hat das LSG die Klage auch insoweit abgewiesen. Der Senat hat die Rücknahmeentscheidung der Beklagten aufgehoben. Es fehlt bereits an einem rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakt als Grundvoraussetzung der Rücknahme. Maßstab der Rechtmäßigkeitsprüfung sind die - hier erfüllten - Voraussetzungen des Anspruchs auf die fingierte Genehmigung (§ 13 Abs. 3a SGB V).

Kerstin Burgdorf


Zurück