Ärzt*innen in ver.di: Patientenwohl vor Profit[1]


Bei ihren Entscheidungen sollte nur das Patient*innenwohl zählen, nicht die Einnahmen des Krankenhauses. Deshalb unterstützen Ärzt*innen in ver.di den Codex „Medizin vor Ökonomie“.

Erst vor ein paar Tagen hat sie wieder hautnah mitbekommen, wie ein Belegarzt eines Krankenhauses einen alten Herrn mit Herzschwäche abgewiesen hat. Der Rettungsdienst sollte weiterfahren und ihn ins Uniklinikum bringen, so die Ansage. Der Grund: Der Verdacht lag nah, dass der Patient unter einem ansteckenden Keim litt. Damit hätte er in ein Einzelzimmer gemusst. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht fürs Krankenhaus ein Verlustgeschäft.

„Das ist ein Paradebeispiel für die Ökonominierung unseres Berufs“, sagt Renate Demharter, Fachärztin für Notfallmedizin am Klinikum Augsburg und Sprecherin der ver.di-Bundesfachkommission Ärztinnen und Ärzte. Der ökonomische Druck auf die Entscheidungen der Ärzteschaft werde immer größer. Die Mitglieder der Fachkommission wollen dagegen ein Zeichen setzen. Deshalb haben sie einstimmig beschlossen, im Namen der Ärzt*innen in ver.di den Ärzte-Codex „Medizin vor Ökonomie“ zu unterstützen.

„Es ist schade, dass es so etwas braucht“, so Demharter. Doch bei den Treffen der Bundesfachkommission hätten die Mitglieder immer wieder geklagt, dass dieser ethische Grundsatz viel zu wenig beachtet werde. Formal haben alle Ärztinnen und Ärzte im Hippokratischen Eid geschworen, dass sie mit ihrer Tätigkeit nur dem Wohl der Patientinnen und Patienten verpflichtet sind. „Eigentlich“, fügt die Sprecherin der Bundesfachkommission hinzu. In Krankenhäusern sehe der Alltag leider häufig anders aus. Der Druck werde immer größer, stets auch die Kosten im Blick zu haben. Welche Behandlungen bringen viel Geld? Und welche gelten als Minusgeschäft? „Das ist für alle ein Thema.“

Krankenhäuser würden dazu gedrängt, keine Defizite zu erwirtschaften – oder wie im Fall von privaten Konzernen wie Helios & Co. sogar Gewinne abzuwerfen und Aktionäre zu befriedigen, kritisiert Demharter. Dafür ließen sich Ärzt*innen mitunter auch zu großzügigen Indikationen hinreißen. Als Beispiel nennt die Personalrätin, dass zu viele künstliche Knie- und Hüftgelenke eingesetzt würden. Eine weitere Folge sei, dass in vielen Krankenhäusern vor allem Krankheiten behandelt würden, die gute Erlöse versprächen.

Anderes Beispiel: Kürzlich hätten sie aus Personalmangel im Klinikum in Augsburg einige Betten sperren müssen. Daraufhin habe die Controllerin verkündet, dass dadurch Einnahmeverluste entstünden. Für Demharter ist der Gedanke absurd: „Wir sollen Patienten gefährden zugunsten von Erlösen?“ Doch so eine Äußerung sorge unter den Kolleginnen und Kollegen schon lange nicht mehr für einen Aufschrei.

Deshalb wollen die Ärztinnen und Ärzte in ver.di offiziell kundtun: „Halt! Medizin geht vor Ökonomie. „ Die Erklärung soll auch ein Leitbild für junge Ärztinnen und Ärzte sein.

Den Ärzte-Codex können Kolleg*innen aller Fachrichtungen unterzeichnen, allerdings jede und jeder persönlich mit seinem/ihrem Namen. Deshalb hat Demharter als Sprecherin der ver.di-Bundesfachkommission offiziell den Anfang gemacht. Alle Mitglieder sind aufgefordert, ihrem Beispiel zu folgen.

Der Ärzte-Codex

Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin schrieb in einer Pressemitteilung im Dezember 2018: „Ärztinnen und Ärzte geraten in der Patientenversorgung zunehmend unter den Druck, ihr Handeln ökonomischen Vorgaben unterzuordnen. ... Ebenso wie in der Klinik kann es auch im ambulanten Versorgungssektor zum Konflikt mit dem Arbeitgeber kommen, insbesondere wenn Vertragsärzte im Anstellungsverhältnis arbeiten. ... Um der gesamten Ärzteschaft Rückhalt für ein patientenorientiertes Handeln zu geben, veröffentlicht die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) den 2017 erschienenen Klinik-Codex nun in Kooperation mit dem Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) erneut. Unter dem neuen Namen Ärzte-Codex gilt er ab sofort auch für niedergelassene Ärzte.“


[1]Quelle: Infodienst Krankenhäuser Nr. 85, Juni 2019; Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


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