Interview mit Kathrin Macha zum Thema Klimakrise und Klimabewusstsein
Kommt es in deiner psychotherapeutischen Berufspraxis häufig vor, dass Patient*innen die Themen Klima und Klima-Katastrophe ansprechen? Welche Fragen, Sorgen und Ängste stehen hier im Vordergrund?
In den letzten Jahren, spätestens seit der Corona-Pandemie, sprechen Patient*innen in meinem therapeutischen Alltag die gesellschaftlichen Katastrophen vermehrt an. Gibt man diesen Raum, dann wird zwangsläufig auch die Klimakatastrophe thematisiert - denn diese ist nicht nur eine vorübergehende Krise auf der Bühne unseres Lebens, sondern bedroht die Bühne selbst. Tatsächlich können und sollten wir als Therapeut*innen die Augen vor der Krisenpermanenz und der zugrundeliegenden Klimakatastrophe im Behandlungszimmer nicht verschließen und zum Gespräch über das Thema sogar aktiv einladen – zum Beispiel über die Frage: „Wie geht es Ihnen als Mensch in unserer Gesellschaft, auf unserem Planeten?“. Sie ist absichtlich sehr offen gehalten, um die Möglichkeit für das Ansprechen aller Themen, die mit der Klimakatastrophe verschachtelt sind, zu geben.
Die Klimakatastrophe und ihre Folgen für unser Leben sowie die Tatsache, dass unser Lebensstil und wir als Gesellschaft diese verursacht haben, lösen natürlich starke, existenzielle Emotionen aus. Im Bereich von Ängsten geht es einerseits vor allem um Gesundheit und Sicherheit von sich selbst, Angehörigen und der Menschheit generell und andererseits auch um mögliche massive Einschränkungen des bisherigen Lebensstils. Aber nicht nur diese sogenannte „Klimaangst“, wie sie ja vor allem medial präsent ist, spielt eine Rolle, sondern weitere Emotionen: die ökologische Trauer, d.h. die Trauer um die Umweltzerstörung, Schuldgefühle aufgrund der Mitverursachung massiven Leids von Menschen in v.a. ärmeren Ländern, Wut auf die Untätigkeit der Politik und Hilflosigkeit, wie man als Individuum etwas verändern kann und resilient wird oder bleibt. Letzteres sind Fragen, die Patient*innen genauso wie uns Therapeut*innen beschäftigen.
Solche Emotionen kennen mittlerweile viele Menschen. Wann können sie zu psychischen Problemen führen, die behandlungsbedürftig sind?
In allererster Linie handelt es sich bei den gerade beschriebenen Emotionen (ökologische Trauer, Wut, Hilflosigkeit) um eine angemessene Reaktion auf eine existenzielle Katastrophe. Denn es steht schlichtweg unsere Lebensgrundlage, unsere physische und psychische Gesundheit auf dem Spiel. Während bei Störungsbildern im Bereich Angst häufig eine unrealistische oder unwahrscheinliche Befürchtung der Kern ist, handelt es sich hier um eine realistische Bedrohung. Das heißt wiederum, dass es für eine starke Vermeidung oder Verdrängung spricht und ungesund ist, wenn diese Emotionen gar nicht vorhanden sind. Ob und wie weit Klimaemotionen mit Symptomen oder dem Vollbild von Depressionen und Angststörungen überlappen oder sich gegenseitig bedingen, ist Gegenstand aktueller Forschung. Erste Forschungsergebnisse zeigen auf, dass hohe Werte in Klimaangst in Zusammenhang mit Generalisierter Angststörung und Depressionen stehen. Hier kann man also einerseits prüfen, ob ein behandlungsbedürftiges Störungsbild daraus hervorgegangen ist; andererseits, ob der individuelle Leidensdruck so stark ausgeprägt ist, dass der Mensch wichtigen sozialen, beruflichen oder anderen Funktionsbereichen nicht mehr nachgehen kann. In diesen Fällen sind die Symptome insofern behandlungsbedürftig, als dass das Ziel nicht ist, die Emotionen „wegzutherapieren“, sondern mit ihnen umzugehen, sie zu akzeptieren und ihre Botschaft ernst zu nehmen. Schlussendlich haben diese Emotionen eine wichtige Funktion: Sie zeigen uns auf, dass sich etwas verändern muss. Im besten Falle ist das Ergebnis also, in der Lage zu sein, eine gesellschaftliche Transformation selbst mitzugestalten, um die schlimmsten Szenarien der Klimakatastrophe zu verhindern.
Falls ein*e Patient*in in einer Psychotherapie Klima-Angst/Eco Depression anspricht – wie kann das aus fachlicher Sicht richtig dokumentiert und gegebenenfalls auch als Diagnose codiert werden (ICD-10 bzw. die neue ICD-11)?
Klima-Angst und weitere Klimaemotionen sind bisher keine Diagnosen in unseren Klassifikationssystemen. Dazu bestehen einerseits nicht genügend Forschungsergebnisse, die es hierzu bräuchte, da die Phänomene erst in den letzten Jahren vermehrt Aufmerksamkeit bekommen haben. Andererseits ist es auch fraglich, wie sinnvoll es ist, eine solche Diagnose einzuführen: Hilfreich wäre es, um Therapiekonzepte zu entwickeln und Daten zu sammeln. Damit könnte Betroffenen mit behandlungsbedürftigen Belastungen durch die Beschäftigung mit den ökologischen Katastrophen und dem umweltzerstörenden Lebensstil der gesamten Gesellschaft, die hierzu geführt haben, eine spezifische Therapie angeboten werden. Allerdings besteht natürlich die Gefahr einer Pathologisierung dieser eben meist angemessenen Reaktion auf die akute Bedrohung. Eine Stigmatisierung könnte die Folge sein; ein Eindruck, man müsse die Emotionen nur „wegtherapieren“, nicht jedoch die Ursache angehen. Sollte eine Codierung vorgenommen werden, gilt es natürlich das Symptombild zu erfassen, und zu prüfen, ob eine Diagnose erfüllt ist – am ehesten sind dabei oft Kriterien einer Anpassungsstörung erfüllt. Dies ist in Anbetracht der Ursache der Belastung, die im umweltzerstörenden gesamtgesellschaftlichen Lebensstil und dem Narrativ des Wachstums liegt, auch berufsethisch wohl am vertretbarsten. Auch hier darf differentialdiagnostisch natürlich keine andere Störung das Bild besser beschreiben.
Was können aus deiner Sicht Kolleg*innen mit einer eigenen Psychotherapie-Praxis in der aktuellen Situation beitragen, um breite gesellschaftliche Akzeptanz des Phänomens der Klima-Emotionen zu fördern und verhärtete Fronten in der öffentlichen Diskussion über die richtigen Maßnahmen zur Bewältigung der Klima-Katastrophe aufzuweichen?
Zunächst einmal können und sollten sich Psychotherapeut*innen zu Psychotherapie in den ökologischen Katastrophen fortbilden. Hierzu gibt es von den Kammern wiederholt, wenn auch noch nicht regelmäßig, Angebote, die die Verantwortung und Handlungsmöglichkeiten im Therapiezimmer, aber auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene aufgreifen. Die DGVT hat ebenfalls schon Klima-Veranstaltungen organisiert und wird beim DGVT-Kongress in Berlin im nächsten Jahr Workshops und Symposien zum Thema anbieten. Es gibt mittlerweile auch einige Fachbücher zum Thema.
Im Behandlungszimmer selbst, also im Kleinen, kann das Thema der emotionalen Belastung, wie schon gesagt, angestoßen werden, durch einfache Fragen danach, wie sich die Patient*innen in der aktuellen Gesellschaft fühlen. Damit kann dann innerhalb der Therapie anteilig gearbeitet werden – vor allem mit akzeptanzbasierten und selbstwirksamkeitsfördernden Methoden. Das beste Mittel gegen Hilflosigkeit in diesem Bereich ist es, aktiv zu werden. Darüber hinaus können Patient*innen informiert werden über die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das emotionale Erleben.
Allerdings gehen die Möglichkeiten weit darüber hinaus, auch im Hinblick auf unser Berufsverständnis: Aus berufsethischer Sicht sind wir angehalten, die ökologischen und soziokulturellen Lebensgrundlagen zu gestalten und zu erhalten, was bedeutet, dass wir außerhalb unseres Therapiezimmers aktiv werden sollten. Psychotherapeut*innen haben dank ihres sehr kreativen Berufs und ihres gesellschaftlich unheimlich relevanten Fachwissens viele Möglichkeiten, zum aktuellen Diskurs beizutragen. Vor allem auch, was verhärtete Fronten und gesellschaftliche Verwerfungen anbelangt – gerade Psychotherapeut*innen haben einen riesigen Skills-Koffer an Wissen im Umgang mit Krisen, mit schwierigen zwischenmenschlichen Situationen: Wir können also Leser*innenbriefe an Medien formulieren, Vorträge in der eigenen Stadt halten, berufspolitisch aktiv werden, Gespräche mit lokalen Politiker*innen führen oder Aktivist*innengruppen unterstützen durch unser Fachwissen. Hilfreiche Aspekte sind dabei, über psychologische Mechanismen in Krisensituationen aufzuklären, Möglichkeiten im Umgang mit diesen aufzuzeigen, die Rolle von Emotionen und Bedürfnissen zu beleuchten, unser Fachwissen hinsichtlich einer gelungenen Kommunikation zu vermitteln – d.h. alles, was wir aus unserer täglichen Arbeit kennen. Idealerweise bleibt man nicht Einzelkämpfer*in, sondern schließt sich einer Gruppe an, die ins Thema schon eingearbeitet ist und die unterstützen kann – wie etwa die Psychologists for Future. Zugleich ist jede*r Psychotherapeut*in „auch Mensch“ und kann sich neben seinem Engagement auf beruflicher Ebene auch privat engagieren in anderen Bereichen. Kollektive Wirksamkeit hilft nicht nur dabei und ist notwendig, um gesellschaftliche Veränderungen voranzutreiben, um die Ursache der Klimaemotionen zu bekämpfen, sondern fördert auch das psychische Wohlbefinden – denn wir sind alle von der Klimakatastrophe betroffen.
Das Interview führte Kerstin Burgdorf, DGVT-Berufsverband.
Die DGVT und der DGVT-BV haben sich ein Mitwirken für den Klimaschutz ebenfalls zum Ziel gemacht: <link 1597 - internal-link "Opens internal link in current window">www.dgvt.de/natuerlich</link>.
Resolutionen des 41. Deutschen Psychotherapeutentags am 18./19. November in Berlin zum Thema Klima:
- Klima- und Umweltschutz umsetzen und psychischen Gefährdungen der ökologischen Krise begegnen
- Psycho-soziale Einrichtungen durch hohe Energiekosten akut gefährdet
Dezember 2022